Von einer Königin, sechs Ruderbooten und sehr vielen Schweinchen


Von Oliver Puncken
Die Weichsel ist der längste Fluss Polens und für unsere Nachbarn ähnlich identitätsstiftend wie für uns der Rhein. Wer auf ihr rudern will, muss sich nach ihr richten – sie bestimmt Wetter, Strömung und damit die Stimmung an Bord. Wir probieren es aus und begeben uns ins Land der Ritter, der Backsteinburgen und der Hanse. Von Thorn geht es nördwärts in Richtung Mündung, vorbei an Bromberg, Graudenz und Dirschau bis nach Danzig. Hier ist unser Reisebericht:
Beinahe in der Mitte Polens liegt die etwa 200.000 Einwohner zählende Stadt Torún (Thorn), genauer im Kulmerland im breiten Flusstal der Weichsel. Von Hannover aus erreichen wir Toruń in rund sieben Stunden über Berlin und Kulmo mit der Bahn – vorausgesetzt, sie fährt so pünktlich, dass man die Anschlusszüge auch erreicht. Der von uns eingeplante Zug erfüllt dieses Kriterium zwar nicht, das Umbuchen auf eine Alternativverbindung ist zumindest für Reisegruppen kein Problem und so genießen wir die kurzweilige Fahrt in der ersten Klasse.
Die alte Hansestadt liegt an den Ufern der Weichsel, dem längsten Fluss Polens und das ist es (nicht nur, aber auch), was uns hierher treibt. Torún ist der Ausgangspunkt der 265 km langen Polen-Wanderfahrt, die Łukasz Kaczmarek, ein engagierter polnischer ehemaliger Leistungsruderer vom Posener Ruderverein Tryton, für uns organisiert hat. 17 Hannoveraner*Innen und 11 Ruderkamerad*Innen aus dem französischen Colmar, Mulhouse und Zürich sind in sechs gesteuerten Gig-Vierern dabei.

Torún hat zwar den Ruf einer eher beschaulichen Stadt (oben vom Rahaus mit Blick auf die Weichsel), scheint sich jedoch langsam aber sicher zu einer kleinen Touristenhochburg zu entwickeln. Der gotische Stadtkern stammt aus Zeiten der Hanse und macht Toruń (auch weil es von den Verwüstungen des zweiten Weltkriegs verschont geblieben ist) zu einer der schönsten Städte Polens. Zu Fuß durchquert man die Stadt in einer halben Stunde, wenn man mit strammen Schritten vorangeht. Wir allerdings nehmen uns Zeit, als wir durch das Gewirr der Gassen spazieren. Immerhin sind wir eigens einen Tag vor dem Start der eigentlichen Wanderfahrt angereist und genießen den Charme von Kopfsteinpflaster, bewundern die Fassaden der mittelalterlichen Gebäude und die liebevoll restaurierten Lagerhäuser aus der Hansezeit und kommen natürlich auch am berühmtesten Sohn der Stadt nicht vorbei: Nikolaus Kopernikus, dessen Spuren überall im Stadtgebiet zu finden sind. Aus den Türen der Backstuben duftet es nach Thorner Lebkuchen, von dem es heißt, kein Gast dürfe Toruń ohne einen Beutel der traditionellen Lebkuchen wieder verlassen.

Nach dem Frühstück geht es los mit der Ruderei – Sturzregen hin oder her. Die Boote haben wir bereits tags zuvor aufgeriggert, so dass wir nach der Bootseinteilung ablegen können. Die vielen Sandbänke und Buhnen fordern den Steuerleuten alles ab; man muss den Fluss im Zickzack-Kurs befahren, dabei den Pricken am Ufer statt der Nase folgend. Abkürzungsversuche sind tabu, denn schon so manches Ruderboot ist “Königin Weichsel“ zum Opfer gefallen. Hier geht es nur mit dem Strom. Ziel der Etappe ist das nur ein paar Kilometer von Bromberg entfernte Dörfchen Ostromecko mit seinen drei Schlössern. Das neueste davon ist von einem wunderbaren Park-Komplex umgeben, in dem Wildschweine herumtollen und dient uns außerdem als standesgemäße Unterkunft mit einer ebensolchen Verpflegung.


Ähnlich fürstlich endet auch die darauffolgende Etappe im Palac Poledno auf der der Hansestadt Chełmno (Kulm) gegenüberliegenden Weichselseite. Das riesige Areal ist allerdings deutlich moderner gehalten und in privater Hand. Wir erhaschen einen Blick auf die beeindruckende Oldtimer-Sammlung des Eigentümers bevor wir uns wieder auf den Weg machen.
Noch ein Geheimtipp für den Polen-Urlaub ist vielleicht auch das Städtchen Grudziądz (Graudenz), welches wir als nächstes ansteuern. Die alten Getreidespeicher am Weichselufer versprühen dort einen eher dörflichen Charme und nach unserem abendlichen Rundgang über den Marktplatz und durch die Altstadt, einem kalten Piewo und einem Lody werden dort die Bürgersteine hochgeklappt. Überhaupt sehen wir einige stolze Burgen, die über Pommerns stillen Weiten thronen und die in der Vergangenheit in regelmäßigen Abständen über das Land verteilt waren. Fast könnte man sie auch für eine Filmkulisse halten, doch die gigantischen Backsteinwunderwerke entlang des Flusslaufs sind echt. Wir laufen den schmalen Graben um die wuchtige Burg Gniews (Mewe) an und verbringen die Nacht in einem Hotel etwas abseits der Weichsel bei einem traditionellen Grillabend mit leckerem Bigos, schäumendem Bier, in der Heimat eher raren Blutwürsten und Gregors selbst gemischtem Zitronenschnaps.


Dann geht es weiter flussabwärts. Kormorane, Adler und Störche drehen ihre Runden und ein paar Angler versuchen ihr Glück. Die zahlreichen Graureiher scheinen erfolgreicher. Gut in der Vegetation versteckt: rote Backsteingehöfte und die eine oder andere alte Kirche. Der nächste Stop ist Tczew (Dirschau). Ein Blick auf die Landkarte (oder in Google maps) offenbart, dass Dirschau den Knotenpunkt der Verbindungen Berlin-Königsberg und Danzig-Bromberg bildet. Die Überquerung der Weichsel an dieser Stelle des Flusses galt lange Zeit als unmöglich, bis in den 1890er Jahren die gigantische Eisenbahnbrücke abschnittsweise gebaut, umgebaut, zerstört und restauriert wurde. Vor dem Brückenbau wurde der Verkehr im Sommer durch eine Fährverbindung und im Winter per pedes über das damals noch regelmäßig auftretende Eis bewältigt. Zurecht scheint man hier stolz auf das monumentale Bauwerk zu sein.

Langsam aber sicher erreichen wir das Weichseldelta und die Gegend um Gdańsk (Danzig), wo die „Schweinchen“ genannten Sandbänke seltener werden und der Fluss preußischer Ordnungsliebe folgend kanalisiert ist. Wir nutzen die ruhigen Wetterverhältnisse und rudern durch die Weichselmündung, von neugierigen Seehunden beäugt, in die Danziger Bucht. Mittagspause wird auf den bis dahin menschenleeren Stränden etwas östlich, zwischen Weichsel und frischem Haff verbracht.

Wir biegen schließlich in die tote Weichsel ein und folgen dem ursprünglichen Flusslauf. Die Schleuse Przegalin trennt die Tote Weichsel und damit die Stadt Danzig vom Weichseldurchstich in Richtung Ostsee. Wir passieren sie und erreichen so die Hafengegend, wo wir uns an Werften und Raffinerien vorbeischieben. Wir legen einen Zwischenstopp am Ruderclub Drakkar ein, wo uns DRC-Präsident a.D. Uwe Merz bereits erwartet. Uwe hat seinen Lebensmittelpunkt schon vor einigen Jahren nach Danzig verlegt und nimmt uns nun mit einigen erfrischenden Kaltgetränken in Empfang. Durch unangenehm kabbeliges Wasser geht es dann weiter, vorbei an einigen der „dicken Pötte“ und Hafenkräne bis in die Innenstadt mit ihrem Wahrzeichen, dem Krantor, vor dem wir die Boote zum Fotoshooting in Stellung bringen.


Die Abendsonne taucht die zur Nachnutzung restaurierten Speicher, Bürgerhäuser, Kirchen und Paläste der Jahrhunderte alten Hansemetropole für uns noch einmal in warme Bernsteinfarben. Wir können den großen Reichtum, den der Handel mit dem „Gold der Ostsee“ (eben dem Bernstein) und Getreide mit sich brachte, erahnen. Leider verbringen wir hier lediglich den Abschiedsabend; am nächsten Tag geht es bereits morgens wieder zurück gen Heimat. So können wir den Glanz Danzigs nur bei einem Nachtspaziergang mit vollgeschlagenen Mägen mehr spüren als sehen und uns vornehmen, einen der Stadt würdigen Folgeaufenthalt einzuplanen.

1 thoughts on “Von einer Königin, sechs Ruderbooten und sehr vielen Schweinchen”

  1. Es war toll!
    Vielen Dank für eine ganz tolle Wanderfahrt mit lieben Menschen, insbesondere meinem lieben Gerdchen, der mich als Jugendlicher trainiert hat. Die Breitensport-Gruppe des DRC ist eine super Gruppe – das konnte ich auch schon letztes Jahr feststellen.
    Die Truppe hat gestimmt, die Weichsel ist ein toller Fluss und der Ausflug auf die Ostsee mit den Seehunden was besonderes. Und da Łukasz uns viel erzählt („Radio Łukasz“) und Stadtführungen und Museumsbesuche organisiert, kommt auch die Kultur nicht zu kurz. Es ist für jeden etwas dabei.
    Besonders hervorheben möchte ich schon, dass es sehr viel Spaß gemacht hat, dass wir mit ruhigen, langen Schlägen in guter Wanderfahrtenmanier die teilweise anspruchsvollen Strecken gut gemeistert haben. Es hat mit den meisten richtig Freude gemacht, zusammen zu rudern!
    Ich freue mich schon auf das nächste Jahr, vielleicht führt mich ja auch zwischendurch mein Weg aus dem Süden wieder an meine alte Trainingsstrecke, um mit Euch zu rudern.
    Liebe Grüße aus Bietigheim-Bissingen
    Martin

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