Meine Meinung: Bitte eine offene und ehrliche Gesprächs- und Dialogoffensive

Turbulente Tage im deutschen Rudersport: Über die Medien beharkten sich nach den sportlichen Misserfolgen bei der EM in München öffentlich Athlet*innen, Chefbundestrainerin und Funktionäre.  In den Überschriften war von Rücktrittsforderungen, wechselseitigen Vorwürfen der Inkompetenz, „Oberlehrerinnen-Ton“, einem „Hauen und Stechen“ und einem „Debakel“ zu lesen. Der Vorsitzende des Deutschen Ruderverbandes (DRV), Moritz Petri, kündigte mitten im Pulverdampf der Wortkanonaden erst eine Analyse der Niederlagenserie an, überraschte dann heute mit dem Einsetzen eines „Expert*innenrates“.
Das zusätzliche Gremien soll bis zum Ruderer-Parlament Ende Oktober in Hannover eine Schadenaufnahme machen und Lösungen erarbeiten. Installiert neben dem gewählten Leistungssportbeirat und dem Trainer*innenbeirat gibt´s damit ein weiteres, offensichtlich nun wichtigeres Gremium, mit dem der DRV-Vorstand so wörtlich „das Ruder herum reißen“ und „Stimmungsmacher in Schach halten“ will.
Dabei ließen sich Stimmungen am besten dadurch vermeiden, dass die Stimmen der Athlet*innen mehr gehört werden. Wer in die enttäuschten, erschöpften und teilweise ratlosen Gesichter der Sportler*innen in München nach deren Wettfahrten geblickt hat, weiß, dass denen die Meinung weiterer Expert*innen konkret wohl wenig helfen wird. Im Zweifel haben sie von denen eh schon genug um sich herum – freiwillig und in einigen Fällen sicherlich auch unfreiwillig.
Um die immense Vertrauenserosion in Vorstand und Funktionsträger*innen im DRV überhaupt noch abbremsen zu können, muss es eine offene und ehrliche Gesprächs- und Dialogoffensive auf Augenhöhe in nie gekanntem Ausmaß mit den Mitgliedern der Nationalmannschaften geben. Der DRV hat neben den in München offen zu Tage getretenen Schwächen im Wettkampf vor allem ein eklatantes internes Kommunikationsproblem. „Stimmungsmacher“ haben nur dann eine Chance, wenn ihre Agitation auf fruchtbaren Boden fällt. Wer gegenüber mündigen Athlet*innen reflexartig nur noch von „Passfähigkeit“ und „Einfügen ins System“ redet, der zieht die Furche und düngt ihn.
Neben Leistungswillen sind jetzt vor allen auch Inspiration, Kreativität, Fantasie und Mut gefragt. Natürlich auch Mut zur Selbstkritik, zum Hinterfragen, Mut zum Risiko und vielleicht auch der Mut, hier und da mal etwas extravagantes oder „verrücktes“ auszuprobieren. Nur im Dreiklang der Leistungssteigerungen, der athletischen, der geistigen und der gestaltenden, wird der Schlüssel zum Erfolg liegen.
Christian Held „Otto“
Vorsitzender Sport

3 thoughts on “Meine Meinung: Bitte eine offene und ehrliche Gesprächs- und Dialogoffensive”

  1. Hallo Otto,
    hier ein paar Anmerkungen.

    Meiner Meinung hat das Problem im deutschen Rudersport keinen Grund in den Personen, sondern ist ein Struktuelles.

    1. Was ist die Basis unseres Sportes? Die Vereine.

    2. Weit zurück liegt der Beginn des Problems. Die Zulassung von Renngemeinschaften. Der erste schritt zur Schwächung der Vereine.

    2. Der nächste schritt war die Zulassung von Renngemeinschaften von der Junior B Klasse bis oben auf allen Regatten. Ein großer Schritt zur Schwächung der Vereine.

    3. Ist die Einführung von Leistungszentren eine Stärkung der Vereine? NEIN

    4. Ist die Bestellung von Hauptamtlichen Bundes- und Landestrainern eine Stärkung der Vereine? NEIN

    Wie Förderlich ist der Einfluss von außen? (Staatlich wie Innenministerien, Bundeswehr und Polizei)

    1. Hi Charly,
      bei 3.+4. stimme ich Dir nicht unbedingt zu. Wir brauchen heutzutage Leistungszentren mit Bundes- und Landestrainern, in denen wir die geballte Kraft des Rudersports entwickeln. Wir müssen aber die Aufgaben dieser Zentren für jede Altersklasse genauer fassen und dürfen die Vereine dabei nicht vergessen. Und die Zentren müssen wo toll sein, dass die Athleten dahin wollen und die Vereine das voll und ganz unterstützen.

      Mit 2. hast Du absolut recht. Es wäre allerdings ein so tiefgreifender Richtungswechsel nach 30 Jahren, dass sich da bislang niemand rangetraut hat. Es braucht clevere Schritte dazu; vielleicht im ersten Schritt die Vierer wieder zu Vereinsbooten machen bei den Jahrgangsmeisterschaften…

  2. Hallo,
    ich denke dass der Rudersport die Problematik nicht exclusive hat, wenn man die Reaktionen nach der letzten Leichtathletik WM betrachtet. Ich denke, dass es im Kern um die Professionalisierung des Spitzensports geht und hier zu allererst um eine umfassende Finanzierung (Sponsoring) und professionelle Strukturen. An Beidem mangelt es m.E. dem DRV.

    Herausragende Talente mit hoher Motivation können auch im derzeitigen DRV – Umfeld in die Weltspitze vorstoßen (siehe die beiden Skuller), denn die Trainingswissenschaft und das technische Leitbild sind keine Geheimwissenschaft.

    Neben einem zeitgemäßen finanziellen Ent-/ Belohnungssystem für Sportler und Trainer (Grundförderung, Erfolgsprämie) braucht es Strukturen, die die Konkurrenz nicht nur bei den Sportlern lebt, sondern auch bei Bundestrainern und Stützpunkten. Monopole sind immer schlecht.

    Ich habe meine Zweifel, ob fest angestellte Bundestrainer mit BAT-Bezahlung, die über Jahrzehnte für einen Kaderbereich zuständig sind, und dies unabhängig von der persönlichen Erfolgsbilanz, die optimale Besetzung darstellen.

    Zuständigkeiten für einzelne Kaderbereiche oder sogar Bootsklassen könnten jeweils für einen olympiazyklus ausgeschrieben und vergeben werden. Damit würde man sich ggf. Zugang zu internationalen know how verschaffen und man gäbe „positiv verrückten“ und erfolgreichen Vereinstrainern eine interessante Perspektive.

    Allerdings sollte man auch nicht in Panik verfallen. Nachdem 2021 im DRV so viele Spitzensportler ihre Karrieren beendet oder unterbrochen haben, war ein solches Ergebnis absehbar. Unverständlich bleibt mir, dass man bei solchen Rahmenbedingungen Leistungskriterien nicht strikter angewendet hat. Man kann doch anhand der Trainingsleistungen erkennen, dass man 20 Sekunden hinter dem Feld ist. Dann bleibt man einfach mal zu Hause.

    Ich glaube übrigens nicht, dass Renngemeinschaften das Problem sind. Vielmehr fehlt es für den Bereich hinter der Nationalmannschaft an einem adäquaten Regattaangebot und damit an sportlichen Perspektiven. Wie soll da eine breite Basis entstehen?

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